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Interview mit Bundesumweltministerin Steffi Lemke

Steffi Lemke ist seit Dezember 2021 Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz. Im Interview erläutert sie, warum mehr Digitalisierung nicht zwangsläufig zu mehr Klimaschutz führt und warum Hersteller von IT-Produkten stärker in die Pflicht genommen werden müssen.

 

Frau Bundesministerin Lemke, zwei Fünftel (40 %) der Menschen in Deutschland sind der Auffassung, dass digitale Technologien unserer Umwelt insgesamt eher nutzen. Ein Fünftel (19 %) ist vom Gegenteil überzeugt. 30 % sind der Meinung, dass sie der Umwelt weder schaden noch nutzen. Wie stehen Sie zu dieser Frage?

Digitalisierung ist von verschiedenen Seiten zu betrachten. Digitale Technologien haben ein großes Potenzial, den Schutz von Umwelt und Klima zu fördern. Sie können etwa helfen, die Artenvielfalt zu verstehen sowie in Industrie, Bau und Verkehr Energie und Ressourcen einzusparen und damit Treibhausgasemissionen zu mindern oder Verbraucher*innen über die Nachhaltigkeit ihrer Kaufentscheidungen zu informieren. Allerdings belastet die Digitalisierung auch die Umwelt durch ihren steigenden Bedarf an Energie und Rohstoffen für die Infrastruktur, dazu zählen  Übertragungsnetze und Rechenzentren sowie Endgeräte wie Notebooks, Smartphones etc. Dabei bestätigen neue Studien: Mehr Digitalisierung führt nicht automatisch zu mehr Klimaschutz. Wir brauchen Leitplanken, um die Digitalisierung an den Zielen des Klimaschutzes auszurichten. Die Politik hat hier den Auftrag, klare Rahmenbedingungen für eine umwelt- und klimagerechte Digitalisierung zu schaffen.

 

Drei Viertel der Menschen in Deutschland wünschen sich mehr Aufklärung bzw. Information darüber, wie digitale Technologien zur Bekämpfung der Klimakrise beitragen können. Welchen Beitrag kann und sollte die Politik dazu leisten?

Die Politik sollte gleichermaßen Chancen der Digitalisierung für mehr Umwelt- und Klimaschutz und Optionen für die umweltfreundliche Nutzung der Digitalisierung aufzeigen. Es geht außerdem darum, die Menschen für dieses Thema zu sensibilisieren und Akteure miteinander ins Gespräch zu bringen. Das BMUV führt in den letzten Jahren verstärkt Projekte und Kampagnen zum Zusammenhang von Digitalisierung und Nachhaltigkeit durch – dazu gehören die umweltpolitische Digitalagenda, die Förderinitiative „KI-Leuchttürme“, die Web-Kampagne „WerteUmwelt“ oder Veranstaltungen wie der „Community-Treff Nachhaltige Digitalisierung“. Aktuell wird eine „KI-Ideenwerkstatt für Umweltschutz“ in Berlin aufgebaut, die Bürger*innen die Möglichkeit bieten wird, mehr über den Einsatz von digitalen Technologien rund um KI im Umweltschutz zu erfahren und Unterstützung bei eigenen Projekten zu erhalten. Im Geschäftsbereich des BMUV informiert außerdem das Umweltbundesamt über aktuelle Umweltthemen und lässt auch zu den Umweltwirkungen der Digitalisierung forschen. Die Forschung des Umweltbundesamts macht zum Beispiel deutlich, dass Videostreaming per Smartphone über UMTS (3G) ein Vielfaches der CO2-Emissionen verursacht im Vergleich zum Streaming über 5G oder über Glasfaser- oder Kupferkabel. Aus solchen Ergebnissen lassen sich ganz konkrete Empfehlungen für ein umweltfreundliches Streaming-Verhalten ableiten.

Darüber hinaus setzt sich das BMUV dafür ein, Informationen zum Zustand unserer Umwelt besser verfügbar zu machen, auch mittels digitaler Lösungen. Ein wichtiger Schritt dafür war die Eröffnung des Nationalen Monitoringzentrums zur Biodiversität in Leipzig letztes Jahr. Das Zentrum soll das bundesweite Biodiversitätsmonitoring weiterentwickeln, Monitoringakteure vernetzen und die Verfügbarkeit von Biodiversitäts- und Umweltdaten sowie den Zugang zu diesen Daten verbessern.

 

Fast die Hälfte der Menschen in Deutschland (46 %) wäre bereit, die Entscheidung, eine digitale Dienstleistung zu nutzen, von ihrem Energieverbrauch abhängig zu machen. Und etwa ein Drittel würde mehr Geld  für eine besonders umweltfreundliche digitale Dienstleistung ausgeben. Brauchen wir mehr Transparenz am Markt über den ökologischen Fußabdruck digitaler Services?

Ja, mehr Transparenz für die Verbraucher*innen ist entscheidend, um unsere Ziele für eine umweltgerechte Entwicklung des digitalen Wandels zu erreichen. Ein wichtiges Angebot ist hier das staatliche Umweltzeichen „Blauer Engel“, das u. a. Drucker, Computer, Server und Speichergeräte, Rechenzentren, Smartphones sowie ressourcen- und energieeffiziente Software auszeichnet. Wir arbeiten beständig daran, dieses Zeichen in die Breite zu tragen und damit seine Wahrnehmung als Prädikat für Umweltfreundlichkeit zu stärken. Der Bund ist sich seiner Vorbildfunktion bewusst und berücksichtigt beim Einkauf von Produkten und Dienstleistungen die Kriterien des „Blauen Engels“. Zukünftig werden die Anforderungen des „Blauen Engels" auch in den Rechenzentren des Bundes weitestgehend umgesetzt.

 

Drei Viertel der Menschen in Deutschland sind der Meinung, dass Hersteller digitaler Geräte noch stärker in die Pflicht genommen werden müssen, ihre Produkte klima- und umweltgerechter herzustellen. Teilen Sie diese Einstellung? Und falls ja, wie kann das gelingen?

Eine der großen politischen Aufgaben in dieser Legislaturperiode ist, die Hersteller digitaler Geräte stärker in die Pflicht zu nehmen. Dies lässt sich am besten auf europäischer Ebene erreichen. Daher unterstützt das BMUV das Vorhaben der EU-Kommission im Rahmen der Ökodesign-Richtlinie, Vorgaben für eine längere Haltbarkeit und bessere Reparierbarkeit von Smartphones, Tablets und anderen digitalen Endgeräten zu machen. Vor allem ist es wichtig, zu vermeiden, dass Software nur begrenzt haltbar und einsetzbar ist. Gerätehersteller sollten daher auf längere Zeiträume zur Bereitstellung von Software-Updates verpflichtet werden. Das BMUV setzt sich hierbei für ambitionierte Anforderungen im Ressourcenschutz ein. Dazu gehört beispielsweise die Pflicht, Ersatzteile für Nutzer*innen über einen langen Zeitraum vorzuhalten und Geräte so herzustellen, dass einzelne Komponenten wie Akkus mit herkömmlichen Werkzeugen zerstörungsfrei ausgetauscht werden können. Wichtig ist auch eine Pflicht, Reparaturanleitungen bereitzustellen und die Original-Ersatzteile für Reparaturen verfügbar zu machen – und zwar nicht nur für Vertragswerkstätten. Das alles sind konkrete Ansätze, die wir verfolgen, um digitale Endgeräte klima- und umweltgerecht herzustellen und zu nutzen.

„Eine der großen politischen Aufgaben ist es die Hersteller digitaler Geräte stärker in die Pflicht zu nehmen.“