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Interview mit Julia Kloiber

Julia Kloiber ist Co-Gründerin von SUPERRR Lab, einem Netzwerk von weiblichen, trans und nicht-binären Menschen aus den Bereichen Kunst, Wissenschaft, Technik, Journalismus und Aktivismus. In diesem Interview erläutert sie, warum wir alte Machtstrukturen aufbrechen müssen und was klassische Medien von Online-Formaten lernen können.                                                       

 

Frau Kloiber, immer wieder berichten Medien von den Gefahren, die von Filterblasen, Echokammern und den darauf aufbauenden Parallelwelten des Internets ausgehen. Heute fühlen sich zwei von fünf (42 %) jungen Menschen (16–24 Jahre) im Internet besser verstanden als in ihrem Alltag. Wie bewerten Sie diesen Umstand? Müssen wir uns um „diese jungen Leute“ sorgen?

Online-Communitys zu haben, mit denen man sich austauscht, in denen man Gleichgesinnte findet und sich verstanden fühlt, ist etwas ganz Normales für viele Menschen. Wenn ich ein queerer Jugendlicher in einem konservativen deutschen Dorf bin, dann finde ich online mehr Peers als unter meinen Nachbarn. Das Gleiche gilt aber auch für den Neonazi von nebenan. Das Internet ermöglicht es uns, über Grenzen hinweg mit Menschen aus der ganzen Welt in Kontakt zu treten. In den Anfängen des Internets waren das unzählige verschiedene Chatrooms und Foren. Heute sind es ein paar wenige zentrale Plattformen, deren Geschäftsmodelle darauf basieren, dass wir Inhalte gezeigt bekommen, die uns ansprechen und auf uns abgestimmt sind. Das führt zu den Echokammern, die Sie erwähnen. Gefährlich werden Echokammern und Filterblasen dann, wenn Menschen die Medienkompetenz fehlt, um zu verstehen, dass sie sich in ihnen bewegen. Wenn sich Menschen nur noch mit Menschen und Inhalten umgeben, die das eigene Bild von der Welt bestätigen. Gefährlich wird es dann, wenn seriöser Journalismus nicht mehr von einem Meinungsbeitrag von Hass unterschieden werden kann. Sorgen machen muss man sich um Menschen, die sich abschotten und in Extreme abrutschen.

 

Das Internet bietet für Minderheiten eine wichtige Plattform, um sich zu vernetzen und auszutauschen. Mehr als die Hälfte der Menschen in Deutschland (56 %) ist davon überzeugt, dass auch Minderheiten im Internet mehr Gehör finden. Was kann die analoge von der digitalen Welt lernen, wenn es darum geht, Minderheiten besser in die gesellschaftlichen Debatten einzubinden?

Wie immer, gibt es zwei Seiten der Medaille: Minderheiten mögen online mehr Reichweite und Gehör finden, erfahren im Internet aber auch viel Diskriminierung, Anfeindung und Hetze. Viele ziehen sich deshalb aus den sozialen Medien zurück. 

Gehör ist auch nicht gleich Gehör. Tauschen sich Minderheiten untereinander aus oder finden sie mehr Gehör in der breiten Masse? Das ist eine wichtige Frage in diesem Kontext. Damit Minderheiten auch außerhalb des Internets mit ihren Anliegen und Themen besser gehört werden, sind die klassischen Medien ein wichtiger Ansatzpunkt. Im Journalismus, als Redakteur*innen oder Moderator*innen, sind Minderheiten weniger stark vertreten. Im Netz können Inhalte einfach erstellt und verbreitet werden, die Hürden sind niedrig, was zu einer großen Inhaltsvielfalt führt. Von den kreativen Online-Formaten und der Aufbereitung der Inhalte im Netz kann man auch für die klassischen Medien lernen, vor allem was die Repräsentation von Minderheiten angeht.

 

Die IT-Branche ist immer noch vornehmlich männlich und weiß. Der Frauenanteil liegt bei 17,5 %. Nur zwei von fünf Menschen (42,1 %) halten dies für problematisch. Ebenso viele Menschen sehen es als unproblematisch an. Sie setzen sich für mehr Diversität in der Tech-Welt ein. Kann ein Wandel gelingen, wenn fast die Hälfte der Menschen kein Problem sieht?

Es scheint Menschen zu geben, die meinen, dass wir das Optimum bereits erreicht haben und wir deshalb nichts verändern müssen. Wenn ich mir den IT- und Innovationsstandort Deutschland so ansehe, dann bin ich anderer Auffassung. Alle großen Internetunternehmen kommen aus dem Ausland, wir sind maximal abhängig von Chip-Produzenten auf der anderen Seite der Welt. Ich sehe einiges an ungenutztem Potenzial. Als Menschheit stehen wir vor komplexen Herausforderungen wie der Klimakrise. Um diese Herausforderungen zu meistern, können wir nicht auf die Expertise und die Kreativität eines Großteils der Bevölkerung verzichten. Nicht in der Politik, nicht in der Wissenschaft und ganz gewiss auch nicht in der IT-Branche. Vom Optimum sind wir weit entfernt, deshalb braucht es Veränderung und das Aufbrechen alter Machtstrukturen, um Raum für Neues zu schaffen.                                                                                

 

Drei Viertel (78 %) der Befragten glauben, dass die Diskriminierung im Internet in den letzten Jahren zugenommen hat. Unter jungen Menschen geben zwei von fünf (40 %) Personen an, schon einmal im Internet diskriminiert worden zu sein. Was können wir tun, um das Internet wieder zu einem Ort zu machen, an dem sich die Menschen wohlfühlen?                                                                       

Das ist ein komplexes Problem. Die Geschäftsmodelle der Plattformen sind darauf ausgelegt, dass Menschen sich möglichst lange auf ihnen aufhalten. So kann ihnen mehr Werbung gezeigt werden und es können mehr Daten gesammelt werden. Die Algorithmen sind so trainiert, dass sie polarisierende Inhalte befördern. So übertönen extreme Positionen und Inhalte den moderaten Rest. Um diesen Kreis zu durchbrechen, müssen sich langfristig die Geschäftsmodelle der Plattformen ändern. Wir dürfen uns nicht damit abfinden, dass Unternehmen Daten sammeln, Profile über uns erstellen und unsere Privatsphäre an den Meistbietenden verkaufen. Das  Gesetz über digitale Dienste ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung. Hauptziel des Gesetzes ist die Schaffung eines sichereren digitalen Raums, in dem die Grundrechte aller Nutzer digitaler Dienste geschützt werden. Hass und Hetze im Netz sollen damit besser bekämpft und illegale Inhalte konsequenter gelöscht werden. 

Das Problem an der Wurzel zu packen, bedeutet aber auch zu verstehen, dass Hass und Diskriminierung sich nicht auf den digitalen Raum beschränken. Die Online- und Offline-Welt lassen sich nicht voneinander trennen. Neben einer Regulierung der Online-Plattformen braucht es Angebote, die dabei helfen, den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft zu stärken, und Maßnahmen, die dazu beitragen, dass sich Menschen über verschiedene Kulturen, Hintergründe und andere Grenzen hinweg austauschen, sich verstehen lernen und so Toleranz befördern. Für diese Arbeit braucht es starke zivilgesellschaftliche Organisationen.

„Wenn ich ein queerer Jugendlicher in einem konservativen deutschen Dorf bin, dann finde ich online mehr Peers als unter meinen Nachbarn.“